Die Aufgaben und die Struktur unseres Vereins, die Ziele und die Entscheidungsverfahren finden sich in unserer Satzung. Jenseits dieser formalen Regeln halten wir es für notwendig, Werte und Prinzipien, die die Basis unserer Arbeit bilden, zu beschreiben. Diese Werte und Prinzipien beruhen auf unseren vielfältigen Erfahrungen in der Psychiatrie-Betroffenen Bewegung, darunter auch einigen bitteren Erkenntnissen. Wir möchten hier allerdings keine zusätzlichen Regelungen vorschlagen, sondern beschreiben, wie wir bei BOP&P miteinander umgehen wollen und welche Art von Räumen wir in unserem Verein schaffen wollen. Dies ist keine vollständige Aufzählung und nicht in Stein gemeißelt. Viel mehr als diese Ansätze zu beschreiben, möchten wir sie in die Praxis umsetzen:
*
Obwohl wir alle psychiatrische Diagnosen und Behandlung am eigenen Leib erfahren haben, wissen wir, dass sich unsere Erfahrungen mit dem psychiatrischen System unterscheiden. Hier geht es nicht nur um negative oder positive Erfahrungen, sondern auch um die Tatsache, dass wir nicht in einer gerechten und gleichberechtigten Welt leben. Unsere unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionierungen haben Auswirkungen darauf, wie wir psychiatrisch diagnostiziert und behandelt werden und bestimmen unsere Erfahrungen mit der Psychiatrie. Diese ungleichen Positionierungen umfassen die Frage nach der ethnischen Herkunft und der (Nicht-)Zugehörigkeit zur Dominanzgesellschaft; sie beziehen sich auf unser Geschlecht, Alter, unseren Bildungshintergrund, unsere finanzielle Situation, Religion und Glauben, sexuelle Orientierung, körperliche- und Sinnes-beeinträchtigungen und viele andere Faktoren, die unser Leben bestimmen.
Wir möchten diese Unterschiede nicht nur anerkennen, sondern auch verstehen, wie sie uns jeweils beeinflussen. Wir möchten einander mit Respekt und gleichberechtigt begegnen. Hier geht es um keine politische Korrektheit, sondern darum, ehrlich und aufmerksam mit den Ungleichheiten, die unsere Leben beeinflussen, umzugehen. Wir möchten die herrschenden Unterdrückungsmuster in unserer Arbeit nicht fortsetzen und befestigen. Das heißt nicht nur, dass wir uns von Rassismus, Sexismus, Behindertenfeindlichkeit und anderen diskriminierenden Praxen distanzieren, sondern aktiv dagegen arbeiten.
*
Der Schwerpunkt unserer Arbeit ist psychiatrische Gewalt und Diskriminierung. Wir beziehen uns allerdings nicht isoliert und ausschließlich auf die Psychiatrie, sondern stellen unser Engagement in Zusammenhang mit allem, was unsere Leben ausmacht. Im Gegensatz zu engen und umstrittenen medizinischen Sichtweisen, bevorzugen wir eine menschenrechtsbasierte Herangehensweise in unserer Arbeit. Das bedeutet, dass Psychiatrieerfahrung untrennbar mit sozialen, ökonomischen und politischen Strukturen verwoben ist. Daher setzen wir uns für Gleichberechtigung und Grundfreiheiten in all diesen Bereichen ein.
*
Die Tatsache, dass wir alle Psychiatrie-Betroffen sind, bedeutet nicht, dass wir die gleichen Meinungen über die Psychiatrie und die sogenannte psychiatrische Versorgung haben. Wir wissen, dass wir nicht nur unterschiedliche, sondern manchmal sogar gegensätzliche Haltungen haben. Dies gilt auch für zentrale Themen wie z.B. die Infragestellung bzw. Akzeptanz psychiatrischer Diagnosen, die Existenz „psychischer Krankheit“ oder der Umgang mit Medikamenten (Psychiatrischen Psychopharmaka). Wir möchten Räume schaffen, in denen wir uns gegenseitig unterstützen und unsere unterschiedlichen Haltungen austauschen und nicht von vorn herein auf eine Unterscheidung in richtig und falsch setzen. In diesem Austausch bleibt jede Person verantwortlich für ihr Handeln und für alle Entscheidungen, die ihr Leben betreffen. Wir respektieren Unterschiede und suchen immer nach einer gemeinsamen Basis für unser politisches Handeln. Als diejenigen, die wissen, was es bedeutet, wenn die eigene Geschichte interpretiert, überschrieben und manchmal sogar ausgelöscht wird, – möchten wir das miteinander nicht wiederholen und niemandem unsere Meinung aufzwingen.
*
Viele Gruppen und Vereine haben formale und informelle Führungspersönlichkeiten. Wir finden solche Strukturen schädlich und wollen anders und transparent zusammenarbeiten. Daher achten wir darauf, Informationen, Arbeitsbelastung und Verantwortung angemessen zu teilen.
*
Wir sind eine Betroffenenorganisation, die auf Selbsthilfe und Selbstorganisation basiert. Daher bieten wir keine Dienstleistungen an. Jede Person bringt ihr Wissen und ihre Fähigkeiten ein, um gemeinsam Aktivitäten und Projekte zu gestalten.
*
Viele von uns haben selbst psychische Ausnahmezustände erlebt und haben daher ein großes Verständnis für ungewöhnliches Verhalten entwickelt. Das bedeutet allerdings nicht, dass alles erlaubt ist und Menschen nicht mehr verantwortlich sind für das, was sie tun. Die Toleranzgrenze wird immer ausgehandelt und hängt von direkt beteiligten Personen und ihren Kapazitäten ab.
*
Körperliche und psychische Gewalt und rassistische, sexistische, trans- oder homophobe Haltungen und Äußerungen werden unter keinen Umständen geduldet.
Wir laden alle Menschen ein, die diese Haltungen teilen, mit uns gemeinsam Räume zu schaffen und zu gestalten, in denen sich alle Psychiatrie-Betroffene willkommen fühlen, egal wo sie herkommen, wie ihr rechtlicher Status, ihre Deutschkenntnisse oder andere Hintergründe sind. Wir freuen uns darauf, unsere Horizonte zu erweitern und gemeinsam nach Wegen und Möglichkeiten zu suchen.
Mai 2021